Lhasa: Mit der Bahn auf das Dach der Welt
- Nadia
- 7. Sept. 2016
- 4 Min. Lesezeit
Von Xining ging es weiter mit dem Nachtzug nach Lhasa. Man merkt, dass dieser Zug öfters von Aliens genutzt werden muss und China will sich hier von der besten Seite präsentieren. Alles ist sehr sauber, das Bahnpersonal überaus freundlich und es hat sogar für jeden einen Fernseher (der nicht funktionierte). Das macht aber bei weitem nicht gut, was die Chinesen sonst an Menschenleben, Kultur und Landschaft in Tibet zerstört haben und immer noch zerstören. Der Landesteil wird von Militär und Polizei zudem ständig strengstens bewacht. In Lhasa steht an jeder Ecke ein Polizeiposten und man wird kontrolliert, wenn man in die Altstadt will, da wo Lhasa sein tibetisches Gesicht noch nicht verloren hat und der Buddhismus noch vorherrscht. Auf jedem Dach und an jeder Hausfassade weht eine chinesische Fahne. Das sahen wir sonst nirgends in China - so markiert man seinen Besitz. Paradoxerweise bekommt aber kein Tibeter einen chinesischen Pass. Die Leute können das Land nicht verlassen, ausser sie wagen die gefährliche Flucht über das Himalaja-Gebrige nach Nepal oder Indien. Wir bemühen uns, nur in tibetischen Restaurants zu essen und in tibetischen Läden einzukaufen, damit das arme Volk auch etwas vom Tourismus hat. Doch bei dieser grossen Anzahl an chinesischen Geschäftsleuten ist dies gar nicht so einfach.
Ausser den Chinesen kommt niemand ohne Bewilligung auf das Dach der Welt. Das Permit bekommt man zurzeit nur, wenn man sich einer Reisegruppe anschliesst. Diese Tibetreisen kosten eine Menge Geld. Wir fanden glücklicherweise eine tibetische Agentur, die uns die Reise von Lhasa zum Everest-Basecamp zu einem ganz vernünftigen Preis anbot. Die haben uns dann auch die Reisebewilligung per Email zugesandt. Wir mussten die farbig ausdrucken und konnten damit problemlos den Zug besteigen. Auch die Polizeikontrollen auf der Fahrt haben wir bestanden. Der Traum, nach Tibet und zum höchsten Berg der Welt zu reisen, ist greifbar nahe.
Bereits die Reise auf der höchstgelegenen Bahnstrecke der Welt mit der Qingdao-Tibet-Railway war ein Erlebnis. Wir waren mit einem älteren Paar aus Los Angeles im Abteil. Sie sind in Hong Kong aufgewachsen und sprechen Mandarin. So hatten wir unsere persönlichen Übersetzer dabei und konnten mit ihrer Hilfe alle nötigen Papiere ausfüllen und in einer Erklärung unterschreiben, dass wir gesund sind, keine Höhenkrankheit bekommen (wer weiss das schon im Voraus?!) und dass uns bewusst ist, dass wir den Gefahren der Höhenkrankheit ausgesetzt sind. Die Bahnstrecke führt durch Regionen zwischen 3000 und 5000 Höhenmeter. 1000 Kilometer fährt man über 4000 Meter über Meer. Die Höhe ist ja nicht ganz ohne. Aber die Chinesen übertreiben es ein wenig und machen einem regelrecht Angst. Die Luft im Zug wird mit Sauerstoff angereichert und bei jedem Bett hat es noch ein Notfallanschluss mit zusätzlichem Oxygen. Während der Nacht überquerten wir den höchsten Punkt der Bahnfahrt, der Tanggula-Pass auf 5075 Meter. Wir überstanden die 2000 Kilometer lange Fahrt ohne Höhenkrankheit und genossen die Ausblicke auf die Landschaft. Die Strecke führt durch weite Steppen mit grasenden Yaks, tibetischen Antilopen und Wölfen. Hinter den Wolken eröffnet sich immer wieder der Blick auf die schneebedeckten Ausläufer des Himalajas. Traumhaft und besser als jeder Dokumentarfilm im Fernsehen. So vergingen die 22 Stunden blitzschnell.
Angekommen in Lhasa ging das Staunen weiter. Man fühlte sich wie in einer anderen Welt. Die Tibeter mit ihren langen schwarzen Haaren, roten Backen und Lederhüten erinnern mehr an die Indianer in Ecuador als an China. Sie sprechen im Gegensatz zu den Chinesen gut und gerne Englisch. Aus jedem Winkel rufen sie und freundlich „Hello! What’s your name?“. Vor dem Jokhang Tempel inmitten der historischen Altstadt beten hunderte Leute. Jeden Mittwoch (Geburtstag des Dalai Lamas) ist der Ansturm besonders gross. Da wollen tausende in den heiligsten Tempel von ganz Tibet. Der Dalai Lama residierte hier, als er noch in Tibet war und nahm die Prüfungen der Mönche ab.
In Lhasa gibt es drei Gebetskreise. Der innerste führt in der Altstadt um den Jokhang Tempel. Die Buddhisten marschieren täglich mit ihren Gebetsmühlen diesen Kreisen entlang. Dabei sollen sie Gutes denken, sprechen und für den Körper tun. Für Letzteres gilt der bis zu 17 Kilometer lange Spaziergang und die Übungen, wobei sie sich auf den Boden legen und langsam wider aufstützen (gibt es nicht eine solche Yoga-Übung?).
Der Potala Palast (UNESCO Weltkulturerbe) ist das Wahrzeichen Lhasas und ist nicht zu übersehen. Das Rot-Weiss-Gelbe Haus war seit dem Jahre 637 Wohn- und Regierungssitz der Dalai Lamas, bis dieser 1959 aufgrund der chinesischen Kulturrevolution nach Indien fliehen musste. Das auf einem Hügel gebauchte 13-stöckige Gebäude beinhaltet über 1000 Räume, in welchen über 200000 buddhistische Statuen stehen. Ein kleiner Teil davon ist für Besucher zugänglich. Auf 3700 Meter kommt man ganz schön ins Schnaufen, bis man über die Treppe die Gebetsräume ganz oben erreicht.
Wir besuchten während den drei Tagen in Lhasa mit unserer Reisegruppe noch weitere Tempel und Klöster in und um Lhasa. Der Guide erzählte uns währenddessen sehr viel über den tibetischen Buddhismus. Als Opfergabe bringen die Einheimischen flüssige Yak-Butter in die Tempel, diese dient anschliessend als Brennstoff für die zahlreichen Kerzen. Dieser Geruch ist ganz schön gewöhnungsbedürftig. Nebst Butter spenden die Gläubigen auch jede Menge Geld. So sieht man an jeder Ecke einen Mönch der stapelweise Geld zählt. Übrigens sind auch die Mönche nicht von der Geldgier verschont. Wie unser Guide meinte, ist der „Job“ deshalb so begehrt, weil er gut bezahlt ist. Bei vielen jungen Leuten sei deshalb der Lohn und nicht der Glaube ausschlaggebend, um ins Kloster einzutreten. Im Sera Kloster konnten wir den jungen Mönchen beim Debattieren zu schauen. Bei diesem täglichen Ritual fragen sich die Mönche gegenseitig über die buddhistische Lehre ab. Nach dem dritten Tag hatten wir genug von all den Buddhas, Gelbmützen und Lamas. Auch diese Religion ist einfach zu kompliziert. Wir wollen raus in die Natur zu den heiligen Bergen und Seen.
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